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Rezension: Sven Böttcher – Prophezeiung

PROPHEZEIUNG


Was unsere Vorstellungen und unser Denken dominiert,
bestimmt unser Leben und unseren Charakter. Daher obliegt es
uns, den Gegenstadt unserer Anbetung mit Bedacht zu wählen,
denn was wir anbeten, dazu entwickeln wir uns.

– Ralph Waldo Emerson

INHALT

Millionen Menschen sind vom Tod bedroht. Das Klima-Prognoseprogramm »Prometheus« sagt eine epochale Dürre in der Äquatorregion voraus, dazu einen Dauermonsun in den gemäßigten Breiten. Während Europa in den Wasserfluten versinkt, versucht die junge Klimaforscherin Mavie Heller die Welt zu warnen. Doch mächtige Gegenspieler wollen um jeden Preis verhindern, dass die Wahrheit bekannt wird …

Mavie Heller ist am Ziel ihrer Wünsche – sie hat einen Job am streng geheimen Klimainstitut IICO auf La Palma, wo man Klimadaten in bislang unbekanntem Ausmaß erhebt. Als Mavie sich das Prognoseprogramm genauer ansieht, fällt sie buchstäblich aus allen Wolken. Denn “Prometheus” liefert exakte Klimavorhersagen für praktisch jeden Ort der Erde – und sagt eine Katastrophe voraus. Die Prognose der Todesopfer: 400 bis 800 Millionen. Mavie wird ertappt und umgehend gefeuert; kurz darauf stirbt ihre Freundin, die Journalistin Helen, bei einem Unfall. Doch wer sollte ein Interesse an einer Geheimhaltung der “Prophezeiung” haben? Die Vorhersagen treffen präzise ein. Der Regen im Norden hört nicht auf, im Süden wird es Tag für Tag wärmer und trockener. Beseelt vom Wunsch, möglichst viele Menschen zu retten, trägt Mavie – mithilfe eines überheblichen Nobelpreisträgers sowie einer Gruppe radikaler “Ökoaktivisten” und Computerfreaks – die “Prophezeiung” in die Welt. Und zahlt dafür einen hohen Preis …

SEITEN: 448 Seiten
VERLAG: Kiepenheuer & Witsch
ERSCHIENEN: 24. Februar 2011
ISBN-10: 3462042785
ISBN-13: 978-3462042788
PREIS: 19,95

Für jedes menschliche Problem gibt es immer eine einfache Lösung – sauber, plausibel und falsch.
– H.L. Mencken


ÜBER DEN AUTOREN

Sven Böttcher, Jahrgang 1964, schreibt seit einem Vierteljahrhundert Romane, Sach- sowie Drehbücher und entwickelt erfolgreich Fernsehformate. Das notwendigste Wörterbuch aller Zeiten (Der tiefere Sinn des Labenz) geht auf seine Kappe (sowie die Kappen von Douglas Adams & John Lloyd), ebenso eine Thriller-Trilogie um das werbende Großmaul Roland Kant und eine Reihe philosophischer Fantasy-Sci-Fi-Bastarde (Götterdämmerung, Wal im Netz, PsychoPathos). Seine vier letzten Thriller und Sachbücher veröffentlichte Böttcher unter Pseudonym, mit Prophezeiung meldet er sich unter seinem Klarnamen zurück.

Klima macht zwar nicht immer, was es will, Klima benimmt sich wie ein Besoffener, der durch die Fußgängerzone stolpert, aber es ist nicht besonders klug, den Besoffenen auch noch zu ärgern. Das haben wir getan, jahrzehntelang. Und jetzt ist es zu spät, noch einen Helm aufzusetzen.


MEINE MEINUNG

Nun bin ich also endlich dazu gekommen, dieses Buch zu Ende zu lesen, nachdem ich in den letzten Wochen immer so viele andere Dinge im Kopf hatte, dass ich einfach nicht wirklich dazu gekommen bin. Wer meine Kommentare auf Goodreads verfolgt hat, hat vielleicht mitbekommen, dass ich diesem Werk anfangs etwas skeptisch gegenüber stand. Gestern habe ich das Buch dann beendet und nach einiger Zeit der Überlegung, was ich denn abschließend zu diesem Buch sagen kann, kann ich guten Gewissens behaupten: Es hat mich überzeugt. Und das möchte ich hier nun natürlich auch ausführen.

Zuallererst, bevor ich irgendetwas anderes schreibe: Dieses Buch ist definitiv nicht wie “Der Schwarm” von Frank Schätzing. In so vielen Rezensionen werden die beiden Bücher miteinander verglichen, “Prophezeiung” wird lobend als “Der neue Schwarm” bezeichnet und so weiter und so fort. Das war das erste meiner Probleme, auf die ich beim Lesen gestoßen bin, einfach, weil durch diesen Vergleich andere Erwartungen geweckt worden. Die beiden Bücher sind – in meinen Augen – nicht zu vergleichen. Klar, sie haben dasselbe Genre, aber beide einen vollkommen anderen Ton, eine vollkommen andere Geschichte, einen anderen Fokus. Also wer “Der Schwarm” kennt, sollte nicht erwarten, dass dieses Buch hier ähnlich ist. Sicherlich ähnlich spannend und gut, aber vom Aufbau und vom Grundton her vollkommen verschieden, in meinen Augen.

Nun aber zur “Prophezeiung”. Die junge Klima-Forscherin Mavie Heller bekommt einen Job am streng geheimen Klima-Institut IICO auf La Palma und schon nach wenigen Tagen dort macht sie – unerlaubterweise – eine unglaubliche Entdeckung: Das Prognoseprogramm “Prometheus”, in das sie sich einhackt, sagt eine Katastrophe voraus und zwar schon für die nächsten Monate. Millionen von Todesopfern soll es geben und das Schlimmste: Die wichtigsten Forscher des Instituts müssen schon seit Monaten davon wissen und haben nichts unternommen, unternehmen noch immer nichts und als Mavies Zugriff schon am nächsten Tag aufgedeckt wird, wird sie hochkant aus dem Gebäude geworfen und steht nun mit ihrem Wissen da. Und mit der sich selbst gesetzten Aufgabe, die Welt vor der Katastrophe zu warnen.
Was auf den ersten Blick nach einem typischen Klima-Thriller Konzept aussieht, strotzt dabei vor Überraschungen und Wendungen, auf die ich im Leben nicht gekommen wäre. Denn die Frage ist ja: Warum sollte jemand, der noch bei Verstand ist, die Welt auf so schreckliche Weise zugrunde gehen lassen, ohne jemanden zu warnen? Wer kann Nutzen aus der Geheimhaltung dieser Prognose ziehen und wer steht eigentlich hinter dem IICO? Jede Vermutung, die Mavie einfällt, jede Spur scheint sie ein Stück näher an ihr Ziel zu bringen und doch besteht ihr Weg aus Irrungen und Wirrungen, jedes Mal, wenn man meint eine Lösung gefunden zu haben, einen Weg, der Welt zu helfen, wird es nur schlimmer und jedes Mal, wenn man meint, endlich den Schuldigen für das Programm und die Geheimhaltung gefunden zu haben, nimmt die Geschichte abermals eine andere, unerwartete Wendung. Denkt man als Leser also – wie ich zu Beginn-, der Plot würde auf eine typisch reißerische Story mit Verfolgungsjagden etc. hinauslaufen, wird man positiv überrascht werden, denn hinter der Inhaltsangabe steht noch einiges mehr.

Mavie ist dabei – ich gebe es zu – nicht gerade der sympathischste Hauptcharakter, den ich kenne. Im Gegenteil, anfangs war ich wirklich ziemlich genervt von ihr. Sie ist recht überheblich und über alle Maßen emanzipiert, weiß, dass sie super gut aussieht und ist natürlich – wie jede starke Frau – der Auffassung, dass Männer auf keinen Fall weinen dürfen. Oder andere Schwächen zeigen.
Im Laufe des Buches konnte ich mich aber mit ihr anfreunden. Ja, irgendwann versteht man, warum sie geworden ist, wie sie ist und noch viel mehr: Man findet langsam heraus, dass sie genau so sein muss, wie sie ist, weil sie sonst nie die Entscheidungen treffen könnte, die eben getroffen werden müssen, um die Handlung voranzubringen. Denn sie ist keineswegs “nur” ein perfekter Mensch, auch sie hat ihre Fehler, die man nach und nach aufdeckt, auch sie hat am Ende massive Zweifel an sich und an dem, was sie tut. Und ihr größter Fehler und gleichzeitig ihre größte Stärke: Sie will die Welt retten. Egal um welchen Preis und egal für wie naiv sie alle halten. Und selbst wenn die großen Wirtschaftsbosse erklären, dass es durchaus Gründe für die Geheimhaltung gegeben hat, ihr unerschütterlicher Glaube daran, dass dieser Gedanke einfach nicht richtig ist, hat sie mir besonders am Ende hin dann sympathisch gemacht.
Sie ist sicherlich nicht jemand, mit dem ich im realen Leben befreundet sein wollen würde, aber sie gewinnt im Laufe der Handlung so viel Farbe, dass es mir doch Spaß gemacht hat, ihre Geschichte zu verfolgen und mit ihr mitzufiebern. Abgesehen davon ist der Schreibstil besonders aus Mavies Sicht immer herrlich lustig und ironisch, was mir sehr gut gefallen hat und mir trotz der ernsten Thematik so einige Lacher bescheren konnte.

Dann sah er Mavie an, lächelnd, und sagte, er bleibe unten. Er nickte in Richtung Tresen. Ersatzentspannung. Schlechter als eine Massage, aber besser als nichts. Sie nickte. Und hoffte auf dem Weg nach oben, dass er nicht allzu zügig weiter an seiner Performance arbeitete. Denn ganz gleich, was dem angeschlagenen Alphatier folgte, beim Gespräch mit Eisele und Gerritsen konnte sie weder das lallende Elend brauchen noch den aggressiven Pöbler, und so wie sie Philipp kennengelernt hatte, stand ihm im Promillnirwana die Option glücklich schweigender Buddha nicht zur Verfügung.

Auch die Nebencharaktere – oder sollte ich sagen: Besonders die Nebencharaktere? – haben mir sehr gut gefallen, herausragend vor allem Philipp, den ich schon von der ersten, winzigen Szene, in der er auftauchte, mochte, aber auch Thilo, von dem man nie erwartet hätte, dass er eben die Rolle einnimmt, die ihm am Ende zugeschrieben wird. Herrlich ist auch immer wieder Mavies Vater in seiner verrückten und trotzdem unglaublich liebenswerten und ernsten Art. Jeder Charakter hat seine Macken, seine Vor- und Nachteile, das macht sie größtenteils sehr lebendig.

Der Schreibstil hat mir gut gefallen und ließ sich sehr flüssig lesen, angenehm und trotzdem irgendwie außergewöhnlich. Da die Sicht ab und an gewechselt wird und wir in verschiedenen Kapiteln auch in die Köpfe verschiedener Charaktere springen, ist eine breite Palette dabei, besonders mochte ich persönlich aber immer Mavies Perspektive, einfach wegen ihrer teilweise einfach so herrlich ironischen Sichtweise auf die Dinge. Der Situation angepasst ist der Stil ruhig und beschreibend in ruhigen Szenen und sehr kurz und stückelhaft in den spannenden, was die Spannung noch zusätzlich erhöhte, das mochte ich ebenfalls.

Das Ende war unerwartet, weil man wirklich bis zum Schluss nicht weiß, wie nun alles ausgehen wird, es bleibt spannend bis ganz zum Schluss und trotzdem noch etwas offen. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, ohne zu viel zu verraten, aber in meinen Augen war der beste Teil des Buches die Auflösung dessen, was eigentlich hinter all dem steht. Unerwartet und – ja – auch auf eine abstruse Art und Weise nachvollziehbar, wenn auch trotzdem nicht richtig.

Es gibt keine noch so absurde Meinung,
die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten,
sobald man es dahin gebracht hat die zu überreden,
dass solche allgemein angenommen sei.

– Arthur Schopenhauer

FAZIT

Trotz anfänglicher Zweifel, hat das Buch es am Ende also doch geschafft, mich zu fesseln und mich mitzureießen, die letzten 150 Seiten habe ich nahezu verschlungen. Alles in allem ein spannender Klima-Thriller mit vielen überraschenden, unerwarteten Wendungen, einem Problem, das man verstehen kann, auch ohne mit jedem Fachwort etwas anfangen können zu müssen und interessanten Charakteren. Der einzige Kritikpunkt, der bleibt, ist Mavies unausstehliche Art zu Beginn des Buches, die mir den Einstieg etwas erschwert hat. Da sie im Laufe des Buches aber sympathischer und durchsichtiger wird, gibt es von mir trotz Startschwierigkeiten

¾
von möglichen 5 ‘Planten in Gefahr’

Alles ist zu jeder Zeit von einem Dogma durchdrungen,
einer allgemeinen stillschweigenden Übereinkunft,
über große und unangenehme Wahrheiten nicht zu reden.

– George Orwell

Anmerkung: Alle aufgeführten Zitate von anderen Autoren,
wurden ebenfalls im Roman zitiert und passen in meinen Augen perfekt zum Inhalt.


Ich bedanke mich auch recht herzlich beim KiWi Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

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