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Wankend zwischen wachen und träumen

 

Jede menschliche Erfahrung ist am Ende für die Welt nicht mehr als der über den Berg streifende Wind, als das den Stein küssende Wasser. Emotionen erbauen und erschüttern unsere Welt, unsere kleine Welt, in der wir allein die größte Rolle für uns selbst spielen. Wenn wir sie verlieren, die Emotionen, die Gefühle, wohin verschwinden sie dann? Ich möchte sie nicht verlieren, ich möchte sie behalten, für immer, nicht vergessen, mir aus ihnen eine Decke knüpfen und mich tief in sie einhüllen, verloren für den Rest meines Lebens.
Welche Geister sind noch in der Lage mich zu fangen, wenn ich Verbotenes tue und darin aufgehe? Wer will mir verbieten, all die Farben zu sehen, die Musik zu hören und die Geschmäcker der Welt in mich aufzunehmen? Was bedeutet das Überwinden von persönlichen Grenzen für mich Umfeld? Und was bedeutet es für die Menschheit? Für die Welt?
Wir zoomen zu selten aus unserem Blickfeld heraus, sehen uns immer nur als Personen, Individuen, dabei gehen wir für andere in der Masse unter. Und vielleicht ist es das, was wir wollen, vielleicht sollten wir es wollen, weil unsere Maßstäbe sich Mal für Mal verändern und all das uns kein Glück verspricht. Wir wollen mehr und mehr und mehr, bis unsere Wünsche irgendwann an den kosmischen Grenzen zerschallen und wir realisieren müssen, dass wir dem Universum egal sind. Was nützt die Entdeckung eines Sterns, wenn hinter ihm die Götter des Alls sitzen, die lachen, über den unbeudentenden Atemzug, den das Leben in ihrem Universum gemacht hat? Was nützt es, wenn wir uns zerstören, ist unser Leben doch sowieso endlich und ob es heute oder morgen endet, macht für niemanden als für die Menschheit selbst einen Unterschied.
Warum können wir nicht glücklich sein und uns hingeben? Warum können wir nicht genießen, uns zurücklegen, uns an dem erfreuen, was wir haben? Warme Sommerabende mit einem Buch auf der Terrasse verbringen, an regnerischen Tagen eine Kerze anzünden und dem Donnergrollen lauschen.
Aber wir treiben uns durch die Straßen, morgens, abends, nachts, ruhelos, gescheucht von Egoismus, Werbung und dem unwiderstehlichen Drang etwas zu werden. Werden. Dieses Wort allein bringt uns ins Nichts, denn jedem Werden folgt ein anderes und irgendwann haben wir wohl verlernt, zufrieden zu sein. Und all dieses Werden tötet uns. Und ehe wir realisieren, dass wir an allem, was wir hatten, vorbeigelaufen sind, ist es zu spät.

 

Von der Neugier des Windes begleitet tanzen wir nun über wilde Wiesen, Erdbeerduft an den über das hohe Gras streichenden Fingern. Und wir halten die Gedanken fest. Wir halten sie fest, als könnten sie uns – wie alles andere auch – zu schnell verlassen. Wankend zwischen wachen und träumen. Und wir wollen glücklich sein. Ein einziges Mal die Ohren und die Augen verschließen, vor der lauten, bunten Welt und der zufriedenen Stille in uns lauschen. Dieser Stille, die immer da ist und doch so selten gehört werden kann.
7 Kommentare
  1. Akosua
    Akosua sagte:

    Toller Text.

    Wenn man es im Großen und Ganzen betrachtet, ist unser Leben tatsächlich nur ein kleiner Wimpernschlag, auch wenn es uns selbst als etwas mehr vorkommt und eine größere Bedeutung hat. Aber selbst aus diesem Wimpernschlag, der ja nur eine Sekunde dauert, kann man etwas machen. Es geht nicht nur um das WERDEN. Dass wird uns einzig und alleine von der Gesellschaft, in der wir leben, aufgezwungen. ES geht viel mehr um das SEIN. Ich glaube, wenn man das hin bekommt, vielleicht auch, indem man einfach der Stille in sich selbst lauscht und die Welt um sich herum vergisst, hat man wirklich gelebt!

    Fühl dich umarmt und hab ein schönes Wochenende.

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  2. Belora
    Belora sagte:

    wow. Ich habe diesen Text gelesen und bin im ersten Abschnitt immer unruhiger geworden. Und im zweiten dann ganz ruhig.
    Ja, du hast vollkommen Recht, meine Liebe.
    Ich könnte hier so viel auflisten, was mir durch den Kopf geht, aber das würde wohl den Rahmen sprengen. Ich hinterlasse hier einfach ein Stück Seelenruhe, wenn das in Ordnung ist.

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  3. PLUTONIUM
    PLUTONIUM sagte:

    Danke für eure wundervollen Worte, ihr beiden. Ich musste mir das gestern einfach von der Seele schreiben und danach ging es mir auch besser. Es stimmt, wir sollten uns mehr auf das Sein konzentrieren und nicht NUR auf das Werden. Natürlich soll man Träume, Wünsche und Ziele haben, aber man sollte auch in der Lage sein, das zu schätzen, was man hat.
    Erst letztens haben wir uns beim Abendbrot darüber unterhalten, wessen Leben wir gern hätten. Und ich habe gesagt, dass es sicher auch viele Menschen gibt, die sich unser Leben wünschen würde, aber da haben alle nur komisch geschaut. Dabei ist es doch so. Wir schätzen es nicht so sehr, weil es für uns selbstverständlich geworden ist und weil wir sehen, dass es besser geht, aber das ändert nichts daran, dass das, was wir haben, für andere meist schon sehr erstrebenswert ist. Und das sollten wir zu Sehen lernen :)

    Vielen Dank für eure lieben Worte, ihr beiden. Dankeschön :)

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  4. Tin
    Tin sagte:

    Ich kann mich den anderen hier im Großen und Ganzen nur anschließen.
    Ein wundervoller Text, wortgewaltig und vollkommen wahr. Besonders das, was du auch in deinem letzten Kommentar hier noch geschrieben hast, spricht mir vollkommen aus der Seele.
    Drück dich. :)

    Tin

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