Mein schwerstes Gepäckstück trage ich nicht in den Händen. Ich habe Koffer, Tasche, Laptop und Bücher dabei, aber nichts davon und auch nicht alles zusammen kann mehr wiegen als die auf jeder Reise gefundene und auf jeder Reise verlorene Sehnsucht nach Ewigkeit. Sie ist die schwerste Last, die wir auf langen Fahrten mit uns schleppen müssen. Es ist der Blick aus dem Fenster, während die Landschaft vorüberfliegt. Es ist der plötzliche Wunsch, auf einen Knopf drücken und aussteigen zu können, wo auch immer du gerade sein magst. Ohne Koffer und ohne Tasche; nur du allein, gemeinsam mit deiner unendlichen Entdeckungssucht. Es ist die Frage danach, wie es wohl wäre, durch die Straßen dieser fremden Stadt zu laufen, über die leeren Gleise des alten Bahnhofes, über die schier endlosen Felder, um alle Eindrücke einzusaugen.
Und noch während du dir vorstellst, wie du durch Täler und Wälder, über Hügel und verlassene Flusstäler wandelst, als wärst du ein Geist oder der letzte Mensch der Welt, schon in diesem Moment hast du ein Stück von dir zurückgelassen, irgendwo auf der endlosen Strecke zwischen Abfahren und Ankommen. Dieser Moment ist es, in dem du weißt, dass die Erde zu groß für dich ist.
In diesen Momenten wünsche ich mir, ich wäre die Welt. Kein Gott und kein Bestimmer, sondern nichts als ein stiller und ewiger Beobachter. Kein Leid könnte mein Gemüt noch beugen und keine Freude es erheben, denn jede Emotion wäre nicht mehr als ein flüchtiger Duft, hinfortgetragen von den Winden aller Jahreszeiten. Und erst wenn ich die Welt bin, könnte ich das Leben als das begreifen, was es ist. Wer das Leben kennen möchte, der muss alle Geschichten kennen, die es erzählt. Vom leisen Flüstern des Windes, zum Rauschen des Baches, dem Wispern der Wolken, dem Wogen des Meeres, bis hin zu den Menschen und all ihren Gedanken.
Das sind die Momente, in denen ich zerbreche, weil sie viel auf mich einströmt, dass mein Geist es nicht tragen kann. Und ich kann den Blick von der Fremde vor meinen Augen nicht abwenden, denn so viel von mir habe ich dort draußen gelassen, ohne es zu wollen.
Eine Durchsage, Kleiderrascheln und eilige Schritte auf verstopften Gängen. Der Zug hält und endlos viele Leiber drücken sich in aller Eile und zwischen Lauten rufen durch die sich öffnenden Türen. Ein junger Mann hält mir die Tür auf, damit ich es auch noch nach draußen schaffe. “Die Züge sind einfach zu voll”, sagt er, nachdem ich mich bedankt habe. “Die Welt ist zu voll”, sage ich und wir lachen.
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Wunderschöner Eintrag. So wundervoll melancholisch. Und erst die Fotos! Außerdem gefällt mir das hier sehr:
“Ich hebe die Verpackung auf und lege sie in das Zugticket, um mich vielleicht irgendwann wieder an diesen Tag zu erinnern.”
Das mache ich auch immer. Hinten in meinem Tagebuch habe ich mir eine kleine “Tasche” gebastelt, in der all so etwas hineinkommt. ♥
Liebste Grüße,
Julchen. ;*
Oh, vielen Dank fürs Reinschauen und für deinen Kommentar. Es freut mich total, dass dir der Eintrag und der Text gefallen. Das mit der kleinen Tasche im Tagebuch finde ich eine echt tolle Idee. Auch wenn ich so etwas wie ein Tagebuch ja (leider?) nicht habe.
Viele liebe Grüße <3
Hach. Mir gefallen auch zwei bestimmte Sätzen. Einmal gleich der am Anfang:
“Mein schwerstes Gepäckstück trage ich nicht in den Händen. Ich habe Koffer, Tasche, Laptop und Bücher dabei, aber nichts davon und auch nicht alles zusammen kann mehr wiegen als die auf jeder Reise gefundene und auf jeder Reise verlorene Sehnsucht nach Ewigkeit.”
Und dieser hier: “Ich hebe die Verpackung auf und lege sie in das Zugticket, um mich vielleicht irgendwann wieder an diesen Tag zu erinnern.”
Ich mache das tatsächlich auch so :)
Und den Satz: “denn gerade verwende ich eigentlich schon alle Konzentration nur darauf, zu atmen.”
Du schreibst sehr schön und hast eine tolle Art, Worte zu benutzen, irgendwie. Man liest gern hier.