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Vom Können und Sein

Marie Graßhoff, Kernstaub, Weltasche, Nebelecho, Autorin, Autorenblog, Schreiben, Kreatives Schreiben, Foto, Gras, Rasen, Sommer, Licht, Bokeh

In den letzten Wochen habe ich viele Tage erlebt, die mir noch gern und lang in Erinnerung bleiben werden. Heute zählt definitiv dazu, denn nachdem ich letzte Woche krank war, hatte ich heute das Glück, an einem supertollen Shooting von Arbeit aus teilnehmen zu können, was bedeutet, dass wir den ganzen Tag durch die Sonne und Parks in Frankfurt gewandert sind, Eis gegessen und Krokusse bewundert haben. Meine Haut riecht noch immer nach Sonne. Im T-Shirt über die Wiesen zu laufen hat nach den Tagen im Bett richtig gut getan. Als ich unter der Dusche stand, dachte ich noch, dass heute einer der schönsten Arbeitstage war, die ich je hatte.
Jetzt sitze ich im Bett und kann trotz körperlicher Erschöpfung nicht schlafen, weil mein Herz so schnell schlägt und mir heiß und kalt abwechselnd ist. Plötzlich habe ich wieder dieses Gefühl, das mich immer ereilt, wenn ich gerade – wenn auch nur kurz – an nichts anderes denke, Das Gefühl, dass ich keine Ahnung habe, wohin mit mir. Das Gefühl, nichts zu können, obwohl alles ganz okay läuft. Das Gefühl, dass ich Tag für Tag mehr unter mir selbst begraben werde und trotz Denken und Probieren und Reden nicht weiß, was ich dagegen tun kann. 
Ich tue so vieles zurzeit. Ich tue so viel, dass ich oft nur 3 bis 4 Stunden in der Nacht schlafe und das auch nur, weil ich müde neben dem Laptop einschlafe. Freiwillig schlafen zu gehen fühlt sich inzwischen falsch an. Es fühlt sich wie aufgeben an, wenn ich eigentlich auch wach bleiben und schreiben oder planen oder kommunizieren könnte. Nicht mal mehr am Wochenende erlaube ich es mir, morgens keinen Wecker zu stellen, egal wie lange ich am Vortag wach war. Müde bin ich tagsüber eigentlich auch nicht; jede Menge Kaffee und jede Menge Konzentration und Stress tragen schon ihren Teil dazu bei, dass ich in kein Tief falle.
Ich kann also nicht behaupten, nicht produktiv zu sein. Im Gegenteil. Wenn man Leben einen Titel hätte, würde er vermutlich Produktivität lauten. 
Aber so viel ich auch tue, ich bekomme – je mehr ich tue und von Tag zu Tag – immer mehr das Gefühl, nichts davon zu können. Ich habe nicht das Gefühl, erfolgreich zu sein. Ich kann einen Arbeitstag abschließen, aber das bedeutet nicht, dass alles abgearbeitet wäre. Ich gehe nach Hause, weil ich schreiben will, nicht, weil ich fertig bin. Ich kann ebenfalls einen Abschnitt meines Romans abschließen, ein Kapitel oder einen ganzen Roman. Aber das bedeutet nicht, dass es abgearbeitet wäre. Neben Planungs- und Überarbeitungsaufgaben stehen schon so viele andere Projekte an, dass ich inzwischen sogar aufgehört habe, sie zu zählen. 
Ja, das ist viel. Und ja, das ist viel zu tun. Aber mich beschleicht immer deutlicher das Gefühl, dass es nicht die Masse an Dingen ist, die mich erdrückt (oder dass ich nur einen so kleinen Bruchteil von ihnen bewältigen kann), sondern das Gefühl, nichts davon richtig zu können. 
Ich bin kein richtiger Autor. Ich nenne mich zwar gern so, aber sein wir ehrlich: Wenn man über die Straße geht und jemandem nach meinem Namen fragt, dann wird ihn niemand kennen. Das wird sich auch in 5 oder 10 oder 100 Jahren nicht geändert haben. Ich liebe die Leser, die ich habe, aber  die Situationen, Personen anzutreffen, die meine Texte mögen oder schätzen, erscheinen mir inzwischen eher als Glückstreffer. So sehr, dass ich mich frage, ob dieses ganze Kommunikationsgerüst, das ich pflege (sämtliche sozialen Netzwerke, die man sich vorstellen kann) überhaupt irgendeinen Sinn hat, oder ob ich nicht glücklicher wäre, wenn ich einfach alles abschalte und in Zukunft nur wieder ganz für mich allein scheibe. 
Wenn jemand mein Buch gut findet, dann fühlt sich das wie Erfolg an, aber nicht wie Können. Meinen Erfolg in diesen Fällen werte ich eher als Nadel, die mir zufällig aus dem Heuhaufen entgegensprang. Darüber kann man sich freuen, aber damit, eine gute Arbeit geleitet zu haben, hat es nichts zu tun. 
Auf Arbeit ist es ähnlich. Ich liebe meinen Job und ich liebe meine Kollegen. Ich kann auch nicht abstreiten, dass ich viel, viel sicherer in dem bin, was ich tue, als zu Anfangszeiten (wäre auch schlimm, wenn nicht). Aber es fühlt sich nicht wie Können an. Wenn Freunde von mir davon erzählen, dass sie keinen Job haben, fühle ich mich oft sogar schlecht, weil ich denke, dass sie einen Job wahrscheinlich viel eher verdient hätten als ich.
Es gibt niemanden aus meinem engeren Bekannten- und Freundeskreis, vor dem ich nicht schon versucht hätte, dieses Problem anzuschneiden. Bzw. diese Probleme? Sind es mehrere? Ich weiß es nicht. Leider habe ich aber schon so oft dieselbe Antwort dazu bekommen, dass ich mich gar nicht mehr traue, etwas zu sagen. Oder die Energie nicht mehr aufwenden möchte, weil es sowieso nur auf dasselbe hinausläuft. 
Freunde sagen: “Nimm das doch mit dem Schreiben nicht ganz so ernst.” Leider ist das ein Hobby, das man verdammt ernst nehmen muss, wenn man es betreiben möchte. Und ja, leider ist das schreiben auch mein Leben. Es ist mein Ausgleich, mein Ruhepol, mein Adrenalinschub. Meine Quelle. Wenn ich mehrere Tage nicht schreibe, merke ich, dass ich ein unangenehmer und unausgeglichener Mensch werde. Auf das Schreiben zu verzichten ist, wie auf Essen zu verzichten. Sicher kann man eine Weile ohne überleben … aber je länger man das tut, um so mehr stirbt man. 
Gleichsam möchte ich kein Leben führen, das nur von Arbeit bestimmt ist. Ich liebe meine Arbeit, aber Aufstehen, Arbeiten, ins Bett gehen, Schlafen, ist kein Leben für mich. Selbst wenn sicher noch viele Treffen mit Freunden, Events und anderes hinzukommt. Ich möchte kein Leben ohne das Schreiben führen. Nein.
Andere sagen: “Nimm das doch mit der Arbeit nicht ganz so ernst.” Aber ich liebe meine Arbeit und meine Kollegen sind meine zweite Familie. Mein Beruf ist an einigen Tagen (wie heute) definitiv der coolste Job der Welt und ich möchte ihn nicht missen oder vernachlässigen. Auf keinen Fall.
Andere sagen: “Nimm dir doch einfach mal mehr Zeit für dich.” Aber wann? Gute Frage. Entspannen geht nicht auf Knopfdruck. Wochenende ist oft voll mit Haushalt, Freunden, Serien, Spaziergängen, Familie und Co. Und klar, ich nehme auch öfter mal ein Bad, trinke einen Wein und lese. Und ich liege auch mal einen Tag lang nur im Bett und schaue Serien, aber das löst das Grundproblem nicht. Abgesehen davon, dass ich in jeder faulen Minute auch Sinnvolles tun könnte (und mich schlecht dafür fühle), gleicht ein Tag Entspannung nicht die Aussicht auf ein ziellos stressiges Leben aus. 
Sind wir also wieder beim Können. Entspannen. Nicht mal das kann ich. 
Wohin will ich überhaupt mit meinem Leben? Und warum geht es mir so schlecht, obwohl niemand versteht, wie das sein kann? Wer wünsche ich mir zu sein und: Werde ich überhaupt jemals mit etwas zufrieden sein, was ich schaffe oder was ich bin? Eine Zeit lange dachte ich, auf einem guten Weg dorthin zu sein, aber ich strafe mich selbst immer wieder Lügen.
Und so verlasse ich jeden Tag mit dem Gefühl, keinen Platz in meinem Leben zu haben. Nichts zu haben, das ich als ehrlichen Erfolg feiern konnte, obwohl ich so viel dafür tue, dass ich kurz davor bin, an mir selbst zu scheitern. Ich verlasse ich jeden Tag mit dem Gefühl, nicht genug zu tun und vor allem, nichts zu können. Nichts zu sein.
In diesem Sinne: Gute Nacht.
7 Kommentare
  1. Julia Mayer
    Julia Mayer sagte:

    Hey Marie,
    ich muss jetzt doch mal etwas dazu sagen. Eigentlich mag ich sowas nicht, weil ich fürchte, dir nicht helfen zu können, aber ich überwinde mich jetzt einfach mal.
    Du bist nicht allein damit!
    Sicherlich ändert es nichts an deinem GEFÜHL, allein damit zu sein, wenn ich dir das so sage. Aber wenn ich etwas in meiner Therapie gelernt habe, dann ist es dass Gefühle durch Gedanken geleitet werden. Wenn du denkst, dass dich niemand versteht, dann fühlst die dich damit auch schlecht.
    Als jemand, der dich nun schon eine Weile (wenn auch nur über das Internet) kennt, kann ich dir sagen, dass deine Probleme kein Einzelfall sind. Ich weiß, das hörst du vermutlich nicht gern, aber sowohl ich als auch etliche andere kennen und fürchten das Gefühl, das du hast.
    Bei mir waren diese Gefühle einer der Gründe, weshalb ich alles was mich sozial gefordert hat hingeschmissen habe. Meine soziale Phobie und Depressionen spielen da natürlich auch mit rein, aber dieser Gedanken den du hier beschreibst, war ein großer Teil dessen was mir die Beine gebrochen hat.
    Dass du dich fühlst als würdest du nichts können ist schade, vor allem weil ich weiß, dass du die Einzige bist die das so sieht. Ich habe auch vermehrt das Gefühl, dass wir Leser dir noch so viele tolle Sachen sagen können, sie erreichen dich nicht. Mein Teufelchen auf der Schulter nennt das Geltungssucht -> du willst mehr, du willst weltbekannt sein, du willst dass jeder weiß wer Marie Graßhoff ist.
    Aber im Grunde verstehe ich das auch. Nur ist dir das in dem Sinne hinderlich, weil deine Erwartungen vermutlich niemals eintreffen werden. Sie sind so hoch, dass die Realität niemals daran heranreichen wird. Du kannst noch so erfolgreich sein, es wird dein Selbstwertgefühl leider nicht aufbessern können, denn das kannst nur du.
    Hm, wenn ich so darüber nachdenke, klingt das ganz schön hoffnungslos. Ich will nicht sagen, dass du “zufrieden sein solltest” oder sowas! Nein, du kannst unzufrieden sein – ich selbst bin extrem unzufrieden – aber es ist so viel schöner, wenn man das Ganze loslassen kann. Wenn man sich sagen kann, dass man etwas aus Freude macht und nicht, um Leser zu gewinnen. Wenn man sagen kann, dass man gut genug ist und sich nicht selbst kaputtmachen muss.
    Ich kann dir vielleicht nicht helfen, denn letzten Endes ist alles, was dir irgendwer geben kann, nur Hilfe zur Selbsthilfe. Marie, du bist eine intelligente, fleißige und vor allem begabte Frau und das kann dir keiner wegnehmen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du Prioritäten setzt. Sieh dir an, was du erreichen möchtest, und dann gehe Tag für Tag kleine Schritte. Du musst nicht die Beste auf der Arbeit sein!
    Genauso wenig wie du MEHR schreiben musst! Das Schreiben kommt ja von allein, so wie du sagst. Warum kann die Arbeit dann nicht auch von allein kommen? Letzten Endes scheint es dich auszulaugen und wie du sagst ist es nicht die Masse an Dingen, sondern vermutlich einfach deine Psyche, die darunter schwankt.
    Jeder Mensch hat nur ein gewisses Maß an Energie und nur einen Prozentteil davon kann er geben. Gib diesen Teil nicht an Dinge, die dir noch ein schlechtes Gefühl geben. Vermutlich denkst du jetzt: Ha ha, das sagt sich so leicht.
    Und ja, es stimmt, ich habe gut reden. Ich bin vollkommen ausgestiegen aus dem ganzen Zirkus, weil ich nicht mehr wusste wie ich überhaupt leben soll. Bei mir gab es Zeiten, da habe ich mir gewünscht, nicht mehr leben zu müssen weil es einfach zu viel war. Mittlerweile habe ich die Zügel wieder langsam in die Hände bekommen und ich kann wieder Dinge allein machen, aber ich weiß auch, dass ich nicht wieder zurück an diesen Ort gehen kann. Mir war es einfach zu viel und da habe ich den Notfallbutton gedrückt.
    Manchmal müssen wir den drücken, auch wenn wir denken, dass wir es nicht können. Mein Notfallbutton sieht vermutlich anders aus als deiner, aber es kommt letztlich auf's Gleiche hinaus.

    Hmmm, wie gesagt, ich weiß nicht ob dir das etwas hilft.
    Liebe Grüße,
    Juls

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  2. Marie Graßhoff
    Marie Graßhoff sagte:

    Hey Juls,

    vielen, vielen Dank für deinen Kommentar, obwohl du unsicher warst, ob du etwas antworten solltest. Manchmal muss man ja nicht mit dem ultimativen Lösungsvorschlag aufwarten. Das ist in diesem Fall vielleicht sogar gar nicht möglich. Aber es kann ja auch schon sehr hilfreich sein, zu wissen, dass einem jemand “zuhört”. Deswegen auf jeden Fall ein großes “Danke” ♥

    Dass ich nicht allein damit bin, kann ich mir sogar gut vorstellen. Das macht mich einerseits froh, weil ich so zumindest die Chance habe, Menschen zu treffen, denen es ähnlich geht, andererseits macht es mich natürlich traurig, weil ich dieses Gefühl niemandem auf der Welt wünsche.

    Dass du das Gefühl hast, Lob und liebe Nachrichten von Lesern würden mich nicht erreichen, tut mir natürlich leid, denn das war nie der Eindruck, den ich vermitteln wollte. (Haha. Wieder etwas, das ich nicht kann. Ich sollte einfach komplett meine Klappe halten.) Im Gegenteil: Begeisterte Lesermeinungen, tolle Mails, Kommentare, FanArt und was weiß ich … das ist alles, woraus ich zurzeit noch meine Lebensenergie ziehe. Einige Kommentare, die ich bekommen habe, waren so toll und lieb, dass ich fast etwas weinen musste, wenn ich sie gelesen habe ♥ Dass mich das nicht erreicht, ist also in einer Weise so.

    An Geltungssucht leidet glaube ich jeder in seinem Leben an irgendeinem Punkt. Kinder wollen Sänger, Musiker, Tänzer, Schauspieler, Rockstars, Raketenforscher und Astronauten werden. Jeder Mensch sucht doch nach einem Weg, seinem Leben Bedeutung zu verleihen. Jeder möchte etwas schaffen, das sein eigenes Leben überdauert und ihn auf seine Art und Weise unsterblich macht. Für einige ist das die Familie, für andere die Wissenschaft, für andere die Kunst. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, seine eigene Sterblichkeit überwinden zu wollen. Wenn das bei mir unter “Geltungssucht” fällt, dann kann ich damit leben.

    Das Problem ist auch, dass ich unsicher bin, ob die Veröffentlichung von Kernstaub dafür der richtige Schritt war. Du kennst mich ja wirklich schon lange und weißt, dass ich da sehr geschwankt bin. Mal fand ich Veröffentlichen toll, dann wieder nicht, dann habe ich es einfach gemacht. Und ja, es hat auch Spaß gemacht und es gibt Faktoren, die ich auch noch immer daran mag. Aber ich merke immer mehr, dass es vielleicht doch nichts für mich ist. Abgesehen davon, dass Kernstaub für einen Indie allein wegen seiner Länge und seinem Aufbau so gut wie gar nicht zu Vermarkten ist (das geringere Übel), ist die Indie-Welt vielleicht auch einfach nicht meine Sphäre. Ich kann nicht wirklich Werbung machen, weil ich nicht denke, dass ich und das Buch dafür interessant genug sind (und wenn ich es tue, komme ich mir unsäglich lächerlich vor) und ich habe das Gefühl, dass ich im Gegensatz zu den meisten Selfpublishern ein regelrechter Versager bin, der nichts von alldem so richtig kann, aber trotzdem krampfhaft alles versucht. Ich vermisse viel eher den Austausch mit Schreibern, als noch nicht alles unter der Prämisse stand, dass ich ein Buch veröffentlicht habe. Auch wenn es sehr viele spaßige Faktoren hat, denke ich deswegen darüber nach, die Veröffentlichung von Kernstaub wieder zurückzuziehen. Auch wenn das wiederum ein feiger Schritt und ein Schlag ins Gesicht für meine derzeitigen Leser wäre, deswegen nehme ich derzeit noch Abstand von dieser Überlegung. (Was ich auch mache, es fühlt sich falsch an. Ich bin hier ganz eindeutig einen Schritt in die falsche Richtung gegangen, aber ich schätze, ich würde mich noch mehr hassen, wenn ich jetzt wieder zurückrudere.)

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  3. Marie Graßhoff
    Marie Graßhoff sagte:

    Aber das Veröffentlichen und alles damit Verbundene ist zurzeit auch nur ein Bruchteil meiner Problemwelt. Loslassen muss ich davon in schreibtechnischer Hinsicht nicht, denke ich. Ich schreibe immerhin nicht, um Leser zu gewinnen, ich kommuniziere (unter anderem), um Leser zu gewinnen oder mit ihnen in Kontakt zu bleiben. (Was man eben in sozialen Netzwerken so macht. Du weißt, was ich meine.) Ich schreibe noch immer, um diese Geschichten aus meinem Kopf zu bekommen und sie festzuhalten, weil sie mir so endlos viel bedeuten. Aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass mein Tempo ihnen nicht gerecht wird. Ich kann nicht mehr, wie zu Studienzeiten, einfach mal einen Schreibtag einlegen, wenn mir danach ist, was meistens dazu führt, dass ich tagsüber total ruhelos bin und dann abends schreibe, bis mir die Augen zufallen. Und selbst dann könnte ich noch heulen, weil ich es einfach – nicht mal annähernd schaffe – mein Hobby so auszuleben, wie ich träume, es zu tun. Ich hasse mich, dass ich jeden beneide, der aus welchen Gründen auch immer tagsüber die Zeit zum schreiben hat. Diesen Personen gegenüber fühle mich wie der größte Versager in der Menschheitsgeschichte und ich frage mich wieder und wieder, was ich eigentlich falsch mache. Wie ich mein Leben sollte, um auch glücklich sein zu können und das tun zu können, woran ich so hänge. Das weiß ich nämlich wirklich nicht mehr.

    Prioritäten setzen und fokussieren ist wirklich der beste Tipp. Aber das habe ich bereits vor Monaten erkannt und weiß einfach nicht, wie ich es umsetzen soll. Ja, ich will mehr schreiben, weil es mich so sehr erfüllt, dass ich platzen könnte, wenn ich es nicht tun kann. Manchmal renne ich sogar vom Bus aus in meine Wohnung, um keine 10 Minuten mit Gehen zu verschwenden (?!) Aber ich möchte auch effizienter arbeiten, weil ich das Gefühl liebe, mich dort so viel weiterzubilden, so viel zu lernen und von Tag zu Tag besser in meinem Job zu werden. Ich liebe es, Verantwortung zu übernehmen. Das erfüllt mich sogar mit Stolz, weil ich bisher selten in meinem Leben an dem Punkt war, in einem Gebiet so viel zu wissen wie nur wenige andere. Daraus ziehe ich auch viel von meiner Energie. Ja, ich möchte mehr lesen, weil es mich entspannt und mir andere Welten zeigt; mir Ruhe gibt, wenn ich mal durchatmen muss vor lauter Tun und Machen. Ja, ich möchte mehr feiern, mehr mit Freunden unterwegs sein, weil ich meine Freunde liebe und jede einzelne Minute mit ihnen genieße und ohne sie und meine sozialen Kontakte nicht lange überleben würde. Ja, ich möchte mehr kommunizieren. Ich möchte es schaffen, alle tollen Mails und Nachrichten auf allen Netzwerken von Lesern oder anderen tollen Menschen, mit denen ich schon mehr oder weniger lang in Kontakt stehe, zu beantworten, weil sie – wie gesagt – einen großen Quell meiner Energie darstellen und ich ohne sie nicht wüsste, wo ich überhaupt stehe. Ich möchte auch mehr zeichnen und fotografieren, weil es mir riesigen Spaß macht, ich möchte mehr lachen und mehr entspannen und ich möchte mehr Sport machen, weil ich meinen Körper über diesem ganzen “Denk-Zeugs” in den letzten Monaten total vernachlässigt habe und jetzt erst wieder bemerke, wie gut mir körperliche Betätigung tut, um mal wieder den Kopf freizubekommen.

    Und ich denke, du siehst, wo das Problem liegt. Liebe ich zu viele Dinge? Mache ich zu viele Dinge gern? Denn obwohl ich mir nicht vorstellen kann, auch nur auf eins dieser Dinge zu verzichten, habe ich mehr und mehr das Gefühl, dass jeder Tag mich langsam abträgt und mich immer dünner zurücklässt. Und ich weiß nicht, wie ich all dieser Sachen Herr werden soll. Es fühlt sich an wie Jonglieren, einen Moment bevor alle Bälle zu Boden fallen.

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  4. Marie Graßhoff
    Marie Graßhoff sagte:

    Ich habe mir schon kleine Kalender gebastelt, die jeden Tag einen Tipp geben, wie man fokussiert und sein Leben stressfreier gestaltet. Ich habe ganze Zeitungen mit alternativen Methoden durchgelesen, hab wieder angefangen ab und an zu kochen oder mich selbst zu überraschen, um kurz gedanklich aus allem ausbrechen zu können, aber das hält nie lange an. “Auch mal “Nein” sagen können” steht natürlich am öftesten irgendwo geschrieben, aber “Nein” sagen fühlt sich Millionen mal schwerer an, als es einfach durchzuziehen. “Nein” fühlt sich – genau wie schlafen – an wie aufgeben. Und macht am Ende alles nur noch schlimmer, weil ich mich dafür verabscheue, nicht die Kraft zu haben, mein Leben zu meistern, wie offenbar der Großteil der Menschheit es auch schafft. Einfach so.

    Nun ja. Du bemerkst sicher schon: Vielleicht ist mir gar nicht zu helfen. Ich erwarte auch nicht, dass das jemand anderes für mich kann, auch wenn ich ebenso keine Ahnung habe, wie ich es selbst tun soll. Aber es ist auch jeden Fall gut, jemanden zum Zuhören zu haben. Vielen Dank dafür! ♥

    Liebe Grüße
    Marie

    PS: Jetzt ist mein Kommentar so lang geworden, dass ich ihn in 3 teilen musste, um ihn absenden zu können, haha! Sorry für's Zuschwallen :D

    Antworten
  5. ∂ade
    ∂ade sagte:

    Liebe Marie,

    ich fürchte leider auch, dass ich nicht viel Nützliches sagen kann, das dir wirklich hilft, aber ich möchte mich trotzdem wenigstens kurz auf diesen Beitrag melden, weil ich einiges recht gut nachvollziehen kann und mir die ganze Situation für dich sehr leid tut.

    Auch glaube ich, dass mein Weg damit umzugehen, nicht unbedingt der richtige für dich ist, wir hatten dieses Thema ja schon mal auszugsweise angeschnitten und es ging um die Möglichkeit der Arbeitszeitreduzierung. Das wäre meine Vorgehensweise, für mich steht momentan eigentlich fest, dass ich später keinen Vollzeitjob nehmen werde, vor allem, weil es ja nicht dabei bleibt, sondern immer noch Stunden obendrauf kommen – weswegen ich das erwähne ist, weil das in deiner Branche ja sehr ähnlich zu sein scheint. Aber da will ich auch gar nicht versuchen, dich in irgendeine Richtung zu drängen, denn wie gesagt, das ist meine Vorgehensweise, die für jemand anderen natürlich falsch sein kann.

    Was mir richtig Sorge macht, ist das nicht schlafen, damit entziehst du dir auf Dauer nur noch mehr Energie, fürchte ich. Und auch mal einen Tag nichts tun ist für mich nicht gleich faul. Ich bekomme so viel von dir mit, dass du meiner Meinung nach ruhig mal eine ganze Woche ohne schlechtes Gewissen faul sein darfst! Was ich sehr gut verstehe, ist das Gefühl, dass ein entspannender Tag kein stressiges Leben ausgleicht – mit genau diesem Gefühl schlage ich mich die letzten zwei Wochen auch sehr extrem rum.

    Ich glaube nicht, dass du dir vorwerfen musst, nichts zu können. Dass man irgendwann irgendwo von Leuten hört oder Leute trifft, die etwas noch besser können, ist klar – aber das heißt ja noch lange nicht, dass man deswegen sein eigenes Licht unter den Scheffel stellen muss. Und ich finde, du brauchst dich überhaupt nicht zu verstecken. :)

    So, ich weiß nicht, ob meine Gedanken dir jetzt irgendetwas bringen, aber wie gesagt, ich wollte mich zumindest dazu äußern und wünsche dir, dass es dir bald wieder besser geht. Und vielleicht klappt das ja auch irgendwann mit dem Nein-Sagen besser, ohne dass es sich nach aufgeben anfühlt. Denn so ist es nicht. Jeder hat das recht, auch mal bei sich zu bleiben. Und wenn das für dich heißt, Zeit fürs Schreiben freizuschaufeln, weil dir das so sehr am Herzen liegt, ist es eher schlecht, ebendas nicht zu machen.

    Liebe, aufmunternde Grüße!
    Jade

    Antworten
  6. Blaine
    Blaine sagte:

    Ich mag was und wie du schreibst und bewundere dich dafür, dass du so nen fetten Wälzer rausgebracht hast.
    Ein eigenes Buch!!
    Seite um Seite gefüllt mit etwas, was aus dir selbst stammt!
    Man stelle sich so etwas mal vor!!!

    Jetzt kommt kein “Aber”. Einfach nur: Punkt :)

    Die Selbstzweifel, die ich regelmäßig hier lese, finde ich sehr alamierend. Und auch wenn sich das krass” anhört und mans sicher nicht hören mag… ich finde, du solltest in Erwägung ziehen, dir helfen zu lassen.

    LG,
    Blaine

    Antworten
  7. Sarah Jordan
    Sarah Jordan sagte:

    Ach je. :-/

    Ich liebe das, was du tust und… ich habe sehr viele psychische Probleme in meiner Vergangenheit gehabt und durchlebt. Heute bin ich ein sehr positiver und ausgeglichener Mensch geworden, der das Leben und vor allem auch sich selbst aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht. Nämlich aus dem einzig gesunden und realistischen. Und dem einzigen, der guttut und das Leben sinnvoll macht.
    Ich will dir in keiner Weise zu Nahe treten, aber… wie meine Vorrednerin sehe ich das leider auch. Hast du mal daran gedacht, mit diesen überdimensionalen Selbstzweifeln zu einem Fachmann zu gehen?
    Ich selbst leide unter einer Persönlichkeitsstörung und weiß einfach, dass das hier alles nicht gesund ist. Dabei bist du ein so wunderbarer Mensch mit so viele Fassetten und Talenten! Gib das nicht auf und vor allem, mach was, damit du endlich glücklich mit dir selbst bist. Du weißt nicht, wie wunderbar alles sein kann, wenn man genau das ist. <3
    Schade, dass du dein Können nicht sehen kannst.

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